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Gedankenlos Französisch



Aus irgendeinem Grund war die Stadt heute voller Franzosen. Die ganze Schauenburgerstraße und den Alten Fischmarkt runter saßen sie in den Cafés und Restaurants am Bürgersteig. Sie unterhielten sich miteinander und mit Fremden über die Straße hinweg, doch weil die Fremden auch Franzosen waren, schienen sie sich gleich ganz fantastisch zu verstehen.


Ich nahm das einfach an und hinterfragte es nicht weiter. Die Sprache gefiel mir schließlich, auch wenn ich sie kaum verstand, und das ganze lockere loungieren der Franzosen erinnerte mich an meine Hemingway Romane.


Ein Mann mit fettigem Schnurrbart und Baskenmütze fütterte einen weißen, pudeligen Hund unter seinem Tisch mit etwas Schinken. Anderswo flüsterte eine junge Frau einem jüngeren Mann, der auf der Restaurantbank direkt neben ihr saß, etwas ins Ohr. Beide kicherten, waren wahnsinnig gutaussehend und hatten die Arme umeinander gelegt. Es sah aus, als würde sich ein Channel-Werbeplakat mit einer Omega-Litfaßsäule unterhalten. Ich war entzückt davon, denn das alles wirkte wie eine wahr gewordene Szene aus meiner unbewegten Fantasie.


Ich wollte mich an die Elbe setzen und schreiben. Auf dem Weg zum Wasser begegnete ich dann vor allem wieder Hamburgern in den Straßen.

Doch als ich gerade links auf den Rödingsmarkt abbog, kam mir noch eine Handvoll junger Damen entgegen, die miteinander lebhaft auf Französisch schnatterten. Ich war mir sicher, jede einzelne von ihnen zuvor schonmal gesehen zu haben -- wahrscheinlich in der Vogue oder im People Magazine. Eine von ihnen, die ganz in der Mitte schwamm und strahlte, trug ein aquablaues, seidenes, schulterfreies Top und einen kurzen schwarzen Rock dazu. Ihre Haut war von einem einzigen, rosé-stichigen Mokkaton, makellos von der Ferse bis zum Schlüsselbein, und ihren Gang könnte ich höchstens als rehhaft bezeichnen.

All die anderen trieben wie ein kaum zu bändigender Sardinenschwarm immerzu im Kreis herum, wahrend sie im Zentrum die majestätische Ruhe und Gelassenheit eines Walfisches ausstrahlte. Die Kontrolle.


Bevor die Gruppe vorübergezogen war, trafen sich ihre und meine Blicke. Die Unbekannte schaute mir vier Sekundenschläge lang in die Augen und dann immer noch. Sie hatte eine ungewöhnliche Mimik auf den Lippen -- als wäre sie überrascht von meinem Anblick und ein wenig amüsiert. Ich hielt den Atem an, ohne darüber nachzudenken und sperrte meine Augen auf, die gern blinzeln wollten und schon tränten.


Und dann waren sie an mir vorbei. Mein Herz fiel und polterte wie ein Felsen in einem Indianer Jones-Film, doch ich schaute ihr nicht nach. Stattdessen ging ich gedankenlos weiter und legte mich auf einer Bank am Wasser in den Sonnenschein.


--


Später, bevor ich nach Hause fuhr, spazierte ich noch einmal den Rathausmarkt entlang. Die Stadt hatte den Innenhof des Rathauses erst vor kurzem wieder als Durchgang geöffnet, und ich wollte mir gern das Cholera-Denkmal ansehen.


Als ich vom Alten Wall in den Hof einbog, sah ich sie sofort: eine große Gruppe kleiner Menschen, die rundherum um den Hygieia Brunnen standen und aussahen, als hätte sie jemand von Kopf bis Fuß in einem Souvenirshop in der Normandie ausgestattet. Im vorbeigehen lächelte ich und winkte der Grundschulreisegruppe zu, und die Grundschulreisegruppe lächelte und winkte zurück.


Auf der gegenüberliegenden Seite verließ ich den Innenhof und machte mich die Große Johannisstraße hinab auf den Weg nach Hause.

Gedankenlos.


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02.12.21 - 16:13

Von dem sitzen, lesen, schreiben in Cafés habe ich mich nun weiterentwickelt, bin aufgestiegen zur nächsten Stufe von hoffnungslos...

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